Tieflochbohrer setzt an

Tiefbohren auf der Fräsmaschine? In vergütetem Edelstahl?

Mitten in der Coronaphase stellte uns ein führendes Unternehmen für Kunststoffverarbeitung eine Frage: Könnt ihr auf euren Fräsmaschinen auch tiefbohren? Ø 80 mm bis circa 1500 mm in Edelstahl 1.2343? Es gibt Projekte, die auch gestandene Werkzeugmaschinenbauer vor neue Herausforderungen stellen! Hier ein Erfahrungsbericht.
11.08.2023
3 Min
Michael Schäfer

Unser erster Kontakt fand bereits 2018 statt. 

Drei Jahre später erreichte uns die oben beschriebene Anfrage: Zusätzlich zum normalen Fräsen wollte das Unternehmen auf derselben Maschine auch Tiefbohrungen bis 1.500 mm durchführen. Nicht in Feld-, Wald- und Wiesenstahl, sondern in Edelstahl X37CrMoV5-1 mit einer Zugfestigkeit von 1.200N/mm² und Härte 38HRC! Uns war sofort klar: Mal eben so aus der Hüfte geht das nicht! 

Erster Test: vielversprechend! 

Nach intensiven Vorgesprächen unter anderem auch mit dem Bohrerhersteller Botek Präzisionsbohrtechnik ging es ans Eingemachte. An einer Kundenmaschine – eine RT 3000 ohne V-Achse – installierten wir eine zusätzliche Pumpe, die bis zu 220 Liter/min an die Bohrstelle bringt. Denn bei 80 mm Bohrdurchmesser ist das Volumen entscheidend und weniger der Druck. „Wurfleitung“ an die Drehdurchführung des Bohrers gelegt, Pilotbohrung vorgefräst, und los ging es. Wegen der Maschinenkapazitäten zwar „nur“ mit 650 mm Bohrerlänge, aber für einen ersten Test vollkommend ausreichend. Und der verlief ausgesprochen positiv, allerdings geriet der Hauptspindelmotor der Testmaschine schon an seine Leistungsgrenze. Fazit: Wir schaffen das, aber die Wunschmaschine für unser Tiefbohrprojekt benötigt einige zusätzliche Optionen.

Tieflochbohrer setzt an

Was muss unsere Wunschmaschine können? 

Für die richtig tiefen Bohrlöcher ergaben sich aus dem Testlauf zusätzliche Anforderungen an die Maschine: am besten eine RT Fräsmaschine mit V-Achse 2000 mm für die langen Bohrer bis 1.800 mm Länge; eine KSS-Pumpe mit 250 Liter/min; ein KSS-Aufbereitungstank, der das Volumen auch filtern kann; und zuletzt ein stärkerer Hauptspindelmotor. Der erfolgreiche Test überzeugte auch unseren Interessenten von der Qualität dieses Konzepts, und wir bekamen den Auftrag für die Projektierung einer entsprechenden Maschine. Jetzt, rund 18 Monate später, steht genau diese Maschine beim Kunden. Den finalen Bohrversuch haben wir letzte Woche gefahren, mit rundherum höchst zufrieden stellenden Ergebnissen. 

Tiefbohren auf unserer RT Fräsmaschine – die wichtigsten Daten 

Für technisch Interessierte haben wir noch einmal alles Wissenswerte zusammengefasst: 

  • • Bohrerdurchmesser 80 mm 
  • • Bohrtiefe 1.500 mm 
  • • Bohrerlänge mit Drehdurchführung für KSS = 1800 mm
  • • Bohrergewicht ca. 50 kg 
  • • Aufnahme SK 50 
  • • Schnittgeschwindigkeit vc = 60 
  • • Vorschub pro Zahn = 0,17 
  • • Drehzahl 1/min = 239 
  • • Vorschub vf mm/min = 41 

Die erzielte Genauigkeit war außerordentlich hoch. Die Abweichung zwischen Ein- und Austrittsöffnung betrug lediglich 0,08 mm (in X) und 0,4 mm (in Y). Das lässt sich auch mit einer Tiefbohrmaschine nicht so ohne weiteres erreichen! Auch nach Angaben von Botek Präzisionsbohrtechnik sind das hervorragende Werte, zumal die Bohrung anschließend noch gehont wird. Noch einmal: Wir sprechen hier von einer Fräsmaschine, nicht von einer spezialisierten Tieflochbohrmaschine mit Stützlynetten.

Der Versuch hat sich gelohnt. 

Für alle. Wir waren selbst gespannt, wie gut sich unsere Fräsmaschine auf fremdem Gebiet bewähren würde. Der Erfolg bestätigt das Konzept: Tiefbohren auf einer modifizierten MTE ist möglich, und zwar mit Top-Ergebnissen. Im Vordergrund steht aber der Nutzen für unseren Kunden, der jetzt auch beim Tiefbohrern die Fäden in der Hand hält. Keine Suche mehr nach Fremdlieferanten, die Kapazitäten auf einer Tiefbohrmaschine haben. Volle Kontrolle aller Prozesse, auch hinsichtlich der Qualität. Bessere Terminplanbarkeit, geringere Kosten und die Wertschöpfung bleibt im eigenen Haus. Das Projekt hat sich für alle gelohnt! 

 

Bohrer ist durch

Steckbrief MTE RT-3000-V (modifiziert) 

  • • X = 3000 mm (längs) 
  • • Y = 1500 mm (quer) 
  • • Z = 150 0mm (vertikal) 
  • • V = 2000mm (quer 2--> Maschinenständer) 
  • • Drehtisch 2000 x 2000 mm 
  • • Fräskopf diagonale Bauweise mit 0,01°x0,01° und 6000 U/min 
  • • Hauptspindel mit 65kW und 2020Nm 
  • • IKZ 50bar 
  • • Zusatzanschluss mit Schnellkupplung für Bohrerdrehdurchführung mit 250L/min und 12bar 
  • • Vollkabine + Absaugung u. v. m.

Über den Autor

Michael Schäfer
Michael Schäfer

Vertriebsleiter, seit 2012 bei MTE